Von Philipp Grätzel von Grätz
Was sich in den letzten Wochen bereits andeutete,
ist vor wenigen Tagen Realität geworden: Die Städte München und Stuttgart
haben als erste Kommunen in Deutschland die seit Anfang 2005 gültige Grenze für
die Belastung der Luft mit Feinstaub erreicht.
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Lunge und Herz leiden unter der Belastung mit Staubpartikeln. |
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Bereits an 36 Tagen ist der Grenzwert von im
Tagesmittel 50 Mikrogramm Feinstaub pro Kubikmeter Luft in der bayerischen
Landeshauptstadt in diesem Jahr überschritten worden. An höchstens 35 Tagen
pro Jahr ist das eigentlich erlaubt.
Auch andere deutsche Städte werden in den nächsten
Wochen die EU-Latte reißen. In Berlin etwa hat die deutsche Umwelthilfe angekündigt,
die Stadt auf dem Klageweg zu zwingen, Sofortmaßnahmen zu erlassen, die
geeignet sind, die Belastung der Bevölkerung mit Feinstaub zu reduzieren.
Auch andernorts drohen Fahrverbote und
City-Maut-Systeme, um die Hauptverursacher des bodennahen und damit
gesundheitlich relevanten Feinstaubes aus den besonders belasteten Innenstädten
herauszuhalten, nämlich Dieselwagen ohne Rußfilter.
Im allgemeinen werden unter Feinstaub Schwebstoffe
mit einem Durchmesser von maximal zehn Mikrometern verstanden. Für diese
"PM 10" genannten Partikel, die beim Atmen den Kehlkopf passieren,
gelten die neuen EU-Grenzwerte. Besonders tückisch sind die feinen Partikel mit
einem Durchmesser von zwei bis drei Mikrometern, denn die erreichen nicht nur
den Bronchialbaum, sondern auch die Alveolen.
Die negativen gesundheitlichen Wirkungen von
Feinstaub sind vielfältig, wie Privatdozent Dr. David Groneberg von der Charité
Berlin zur "Ärzte Zeitung" sagte. Die pathophysiologische Hypothese
ist, daß Feinstaub im Lungenepithel eine Batterie an Mediatorsystemen anstößt,
die letztlich dazu führen, daß vermehrt entzündungsfördernde Botenstoffe
ausgeschüttet werden. Dadurch ziehen sich die Luftwege zusammen, die
Austauschfunktion des Alveolarepithels wird beeinträchtigt und die
Sauerstoffversorgung des Herz-Kreislaufsystems insgesamt verschlechtert sich.
"Klinisch führt Feinstaubexposition eindeutig
zu einer Zunahme der Krankenhauseinweisungen wegen Asthma bronchiale und COPD",
so Groneberg. Vor allem aufgrund sekundärer Herz-Kreislaufschäden erhöht
Feinstaub auch die Sterblichkeit.
Ministerialdirektor Dr. Uwe Lahl vom
Bundesumweltministerium präsentierte auf dem Kongreß der Deutschen
Gesellschaft für Pneumologie in Berlin Daten der WHO, wonach ein mittlerer
Anstieg des Luftgehalts an Feinststaub ("PM 2,5", Durchmesser bis 2,5
Mikrometer) um 10 Mikrogramm pro Kubikmeter das relative Sterblichkeitsrisiko um
ein Zehntel bis ein Fünftel erhöht. Die Gefahr, eine ischämische
Herzerkrankung zu entwickeln, wächst demnach pro zehn Mikrogramm Feinstaub pro
Kubikmeter Luft um ein Viertel bis ein Drittel.
Besonders bedrückend findet Groneberg eine neue
Studie aus Kalifornien: In zwölf Städten mit unterschiedlich schmutziger Luft
wurde bei Kindern zwischen dem zehnten und dem achtzehnten Lebensjahr die
Lungenentwicklung in Abhängigkeit vom mittleren Feinstaubgehalt in der Luft
untersucht.
"Normalerweise sollte die Lungenkapazität in
dieser Zeit um rund zwei Liter ansteigen", so Groneberg. Tatsächlich kam
es aber in einigen Städten zu einer signifikant geringeren Zunahme des FEV1-Werts,
und zwar abhängig vom Luftgehalt an Feinstaub. "Luftverschmutzung führt
dazu, daß unsere Lungen nicht so groß werden, wie sie sollten", so
Gronebergs Schlußfolgerung.
Vor allem wenn es später zu einer manifesten
Lungenerkrankung komme, fehle den Betroffenen dadurch die pulmonale
Reservekapazität. Das wiederum führt zu früheren und schwereren
Komplikationen der Erkrankung. Ob Feinstaub auch Lungenkrebs auslöst, wird
kontrovers diskutiert. Eine US-amerikanische Langzeit-Studie aus dem Jahr 2002,
die in "JAMA" publiziert wurde, fand zumindest ein solches Risiko für
Partikel unter 2,5 Mikrometer Größe.
Daten des Umweltbundesamts zufolge stieg der Anteil
der Meßstationen, bei denen an mehr als 35 Tagen pro Jahr der Grenzwert von 50
Mikrogramm pro Kubikmeter überschritten wurde, zwischen 2000 und 2003 von etwa
sieben Prozent auf 35 Prozent.
Gründe dafür könnten zum einen das höhere
Verkehrsaufkommen sein, zum anderen die Tatsache, daß der Anteil der
Dieselfahrzeuge an den Neuzulassungen weiter steigt. Doch auch der Erfolg der
letzten Jahrzehnte bei der Verringerung der großen Schwebstoffe hat seinen
Preis, denn große Partikel scheinen durch Absorptionseffekte kleinere
Schwebstoffe aus der Luft zu filtern.